Jeder sollte sich mit KI auseinandersetzen!
TT-DIGI ist das Fachmagazin für Training, Therapie und Digitalisierung. Entsprechen spannend war das lange Interview mit Chefredakteur Philipp Hambloch. Entsprechen spannend war unser Gespräch, weil gerade im Bereich von Training und Therapie die Künstliche Intelligenz eine neue Zeit einläutet – nicht nur wegen der “Wearables” und der Trainings- und Medizindaten aus meinem Körper, die mir via App zum Gesundheitskapitän warden. Hier der Text:
Der Journalist, Autor und KI-Veteran Christoph Santner beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit Künstlicher Intelligenz. Er interviewte unzählige Pioniere der KI-Forschung und Robotik, und ist regelmäßig auf Branchen-Konferenzen geladen, wie zuletzt bei „AI for Good“ der UNO. Als KI-Consultant berät er Unternehmen bei der Entwicklung und Implementierung von KI-Strategien. Wir sprachen mit ihm über die rasante KI-Entwicklung und die daraus entstehenden Chancen für die Fitness- und Therapiebranche.
TT-DIGI: Lieber Herr Santner, wodurch wurde ihr Interesse an KI geweckt?
Santner: Daran ist tatsächlich mein Onkel Ulrich „schuld“. Er entwickelte seit den 1960er Jahren in den USA und in Österreich Messgeräte mit ComputerChips und prophezeite mir, diese Chips würden die Welt verändern. Mein Interesse war geweckt – und er sollte Recht behalten. Wie übrigens auch US-Präsident Kennedy, der im Jahr 1961, die Mondlandung ankündigte. Was damals unvorstellbar war, wurde nur acht Jahre später Realität, mit Hilfe von Computern. Warum ich das erzähle? Heute sind die Quantensprünge durch KI noch viel größer und schneller als damals, die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Ich begleite das Thema seit langer Zeit und war damit schon in vielen Ländern unterwegs.
KI ist in aller Munde, aber eigentlich ja nicht so neu.
Das stimmt, KI ist 2022 vor allem durch ChatGPT aufgetaucht wie ein U-Boot. Erstmals genutzt wurde der Begriff „KI“ 1956. Aus meiner Sicht sind die 1960er Jahre die Geburtsstunde der KI. Damals entstanden auch viele Tech-Firmen wie Intel. Ohne die Erfindung von ComputerChips bzw. dem Computer gäbe es heute keine KI. An der Entwicklung von KI waren und sind übrigens viele verschiedene Wissenschaften wie beispielsweise auch Linguistik und Kybernetik beteiligt.
Wie würden Sie KI definieren?
Eine einheitliche Definition gibt es nicht, sondern verschiedene Ansätze. Für mich bedeutet KI den Nachbau des menschlichen Gehirns, also eines mächtigen neuronalen Netzwerks, in riesigen Computern. Der menschliche Denkvorgang ist quasi das Vorbild, wobei KI deutlich schneller ist dank der Rechner-Power. Und das obwohl es zum Gehirn noch viele offene Fragen gibt, die aber wiederum mit KI-Hilfe angegangen werden können.
Haben Sie ein KI-Lieblingstool?
Das kommt immer auf den Zweck an. Gerade für Journalisten gibt es viele Möglichkeiten sich die Arbeit zu erleichtern. Spannend finde ich beispielsweise ein Wearable, das die Schlafqualität misst und mich aufgrund der erhobenen Daten dann weckt, wenn ich ausgeschlafen bin.
ChatGPT hat sich teilweise auch Antworten ausgedacht. Wie kommt es dazu?
Entscheidend ist zum einen der Inhalt, also mit welchem Content eine KI trainiert wurde. Das funktioniert wie eine riesige Bibliothek, die das Wissen auf die Frage zugeschnitten immer wieder neu zusammensetzt. Zeitweise hatte die KI die Schwäche, ungern Wissens lücken zuzugeben. Stattdessen wurden dann (aus KI-Sicht möglicherweise plausible) Sachverhalte erfunden. Wir kennen das Phänomen von echten Menschen. Dieses Problem wurde aber schon deutlich verbessert.
Deutschland gilt als KI-kritisch. Wie sieht das in anderen Ländern aus?
Das stimmt, auch aufgrund unserer demografischen Entwicklung tun wir uns etwas schwer mit Neuerungen. Das finde ich aber sehr schade, denn wir sollten die Vorteile sehen – und aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden. In den USA herrscht ein sehr innovatives Klima, nicht nur im Silicon Valley. Der KI-Chip hersteller Nvidia ist neuerdings eines der wertvollsten Unternehmen der Welt. In Asien ist man Robotik und KI gegenüber sehr offen. Schon heute kommen mit Abstand die meisten KI-Patente aus China. Auch in den Emiraten wird viel Geld in die KI-Entwicklung investiert.
Können Sie Ängste gegenüber KI verstehen?
Sicht geht es dabei hauptsächlich um die Fragen der Kontrolle und Arbeitsplätze. Um den ersten Punkt sollte man sich auch kümmern. Dennoch ist KI aus meiner Sicht eine große Chance und bietet viele Vorteile. Jeder sollte sich mit KI auseinandersetzen! Es mag sein, dass durch KI Arbeitsplätze verloren gehen. Laut einer aktuellen Studie sind 41% der Büro – arbeit Routine und damit automatisierbar. Andererseits entstehen durch die Weiterentwicklung von Prozessen aber auch neue Jobs. Voraussetzung dafür ist natürlich eine gewisse Qualifikation. Leider ist KI in vielen Firmen noch ein großes Tabu.
Warum sollte sich jeder mit KI beschäftigen?
Weil KI uns alle betrifft und unseren Alltag massiv verändern wird. Daher kann ich nur an alle Leser appellieren, sich mit KI auseinanderzusetzen. Vieles, was in wenigen Jahren normal sein wird, ist jetzt noch kaum verbreitet. In Asien gibt es beispielsweise immer mehr Sexroboter, und auch der Bau von humanoiden Robotern für die verschiedensten Bereiche wird immer mehr ausgeweitet.
Was hat Sie zuletzt am meisten beeindruckt?
Die Roboter der Geminoid-Reihe werden immer besser und können reale Personen wahnsinnig gut imitieren. Dadurch wäre es für CEOs möglich, sich überall quasi in Präsenz als Roboter-Zwilling zuzuschalten. Persönlich habe ich auch schon Podiumsdiskussionen mit Robotern moderiert und war sehr angetan.
Welche Möglichkeiten sehen Sie durch KI für die Bereiche Training und Therapie?
Einerseits werden wir Menschen mit Behinderungen viel besser helfen können durch Robotik etc. Generell werden alle Tools smart werden, also Daten erheben können. Durch die Analyse der Daten können Prozesse immer weiter verbessert werden. Schon heute gibt es Trainingspläne, die durch KI entworfen werden. Wenn dazu dann noch Werte für Ernährung, Regeneration etc. ergänzt werden, bekommen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Daher wird es wichtig werden, diese Daten auch für Trainer aufzubereiten, die keine Mediziner sind. Aus meiner Sicht ist das ein riesiger Markt.
VR-Brillen können Sportmuffel motivieren und diese vielleicht auch später in ein reales Studio führen. Auch im Bereich der vorbeugenden Medizin bzw. der Prävention wird es massive Fortschritte geben. Denkbar wäre auch eine neue Rolle der Ärzte als Gesundheitsmanager statt Krankheitsverwalter.
Wagen Sie zum Abschluss eine Prognose, wie sehr sich das Leben durch KI-Fortschritt verändern wird?
Ob sich ein Mensch um 1500 hätte vorstellen können, wie wir heute leben? Die Ausmaße der aktuellen Disruption sind kaum vorstellbar. Vor kurzem habe ich auf einem Wahlplakat das Versprechen gelesen, man könne 800 Jahre alt werden, wenn man die nächsten 20 Jahre noch überlebe. Das klingt sicherlich heute verrückt. Andererseits hat selbst die Wissenschaft das Tempo der Entwicklung laut einiger Prognosen komplett unterschätzt. Ich möchte nochmal betonen, dass es legitim ist, KI kritisch zu sehen. Gleichzeitig sollte man die Verdienste aber bitte nicht ausblenden.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!
Das Interview führte Philipp Hambloch.
Das Buch In „Alles KI?“ liefert Santner spannende Insights von Experten aus der Forschung, den Big Playern einschlägiger KI-Firmen ebenso wie Tech-Start-up-Gründern. Der Autor legt damit ein umfassendes Grundlagenwerk vor, das Berührungsängste abbaut, die Einsatzgebiete der KI verständlich erklärt und neben einhergehenden Chancen auch Herausforderungen in den Blick nimmt.
Christoph Santner: Alles KI? Goldmann Verlag 2024