“Die KI macht Fortschritte, und zwar superschnell!“
Dr. Ben Goertzel (56) ist ein KI-Pionier und -Forscher, der das Thema vielfältig vorantreibt: Er gründete und leitet als CEO das SingularityNET, ein führendes, dezentralisiertes AI-Ecosystem; ebenso die OpenCog Foundation; Humanity+ und eine Reihe weiterer Non-Profits aber auch kommerzieller Unternehmen. Ich interviewte ihn ihm Rahmen der „AI for Good“-Konferenz der Vereinten Nationen in Genf, unmittelbar nach der Pressekonferenz von 9 Humanoiden Robotern. Mit dabei auch Desdemona, der Roboter von SingularityNet und Hanson Robotics.
Christoph Santner: Ist es nicht so mit KI und Robotik: Die Amerikaner machen die Profite, die Chinesen die Kontrolle, und wir in Europa, wir machen uns Sorgen?
Dr. Ben Goertzel: Es sind hier auf der Konferenz nicht so viele asiatische Roboter zu sehen, mit Ausnahme von Hiroshi Ishiguro’s „Geminoid“ aus Japan. Ich habe ja 10 Jahre in Hongkong gelebt und kann sagen: Kulturell gesehen lieben die Asiaten ihre Roboter, denn man ist dort überzeugt, dass sie unsere Freunde sein werden und uns helfen. Im Westen, auch in den USA, glaubt man ja eher an den Terminator. Also dass er uns umbringen wird und uns die Jobs wegnimmt. Da gibt es eine ziemliche Paranoia in Bezug auf KI.
CS: Wir sprechen hier ja über „AI for Good“. War es für Sie als einer der „Godfathers“ dieser Roboter ein historischer Tag, gleich 9 Humanoide Roboter eine Pressekonferenz geben zu lassen?
BG: Einerseits ist es natürlich cool, die Roboter auf diesen Stand gebracht zu haben, dass sie den Medien plausible Antworten geben können. Cool, dass sich die Technik so entwickelt hat. Aber es hat mich heute auch erstaunt, dass die Roboter nicht in ihrem interessantesten Modus geantwortet haben, den sie eigentlich drauf haben. Sie waren ziemlich „politically correct.“ So als wüssten sie, was von ihnen erwartet wird. Sie können eigentlich noch viel interessantere und kreativere Ding sagen.
CS: Wie „politically correct“ sie antworten, hängt also vom Kontext ab?
BG: Das Sprachmodell hinter ihnen weiß, was in welchem sozialen Kontext erwartet wird. Und es ist gut, dass die Roboter diese Art von Intuition haben.
CS: Lassen Sie uns über die „Singularity“ sprechen, also über diese exponentielle Beschleunigungskurve aufgrund der wachsenden Computerpower. Was werden wir in den nächsten 10 Jahren diesbezüglich erleben?
BG: Ray Kurzweil, der das Buch „The Singularity is Near“ geschrieben hat, ist ja ein durchaus vernünftiger Freund von mir. Er glaubt, dass KI wirkliche „Human General Intelligence“ rund um 2029 erreicht haben wird. Alles danach ist dann weit, weit jenseits menschlicher Intelligenz. Das wird dann die sogenannte „Superhuman General Intelligence“ sein. Wir sind also schon ziemlich nah dran. Und wir sind nicht annährend darauf vorbereitet. Ich bin ein großer Optimist. Was geschieht, wenn KI dann zwei, drei, fünf Mal so klug ist wie die smartesten Menschen? Wir haben dann etwas kreiert, das viel intelligenter und fähiger ist als wir. Aber auch wenn wir ihnen dann als inkompetente Schöpfer erscheinen, sind wir doch ihre Eltern. Es braucht ja eigentlich nicht viel Anstrengung für eine KI, das menschliche Leben um vieles besser zu machen. KI könnte uns zum Beispiel helfen, Chips zu designen, die wir uns ins Gehirn pflanzen um uns selbst in virtuelle Realitäten upzuloaden, warum nicht? Und ich bin optimistisch, dass KI eine moralische Agenda haben wird und Empathie gegenüber uns Menschen.
CS: Wenn wir wie hier auf der Konferenz von „AI for Good“ sprechen und doch daran glauben, dass sich insgesamt unsere Gesellschaft in eine gute Richtung entwickeln kann, wie sieht dann eine Welt mit Superintelligenz aus?
BG: Ich denke wir werden ein Universelles Grundeinkommen haben, in der einen oder anderen Form. Es kann schon sein, dass es politische Unruhen gibt, aber nicht einmal in den USA kann man es sich leisten, die Hälfte der Bevölkerung obdachlos auf der Straße leben zu lassen. Mehr Sorgen mache ich mir da bezüglich der Entwicklungsländer. Da wird es ein geopolitisches Durcheinander zwischen China, den USA und Russland geben, wer das Geld für das Universale Grundeinkommen bereitstellt im Austausch gegen Kontrolle z.B. über die Ressourcen.
CS: Was wir heute erleben mit AI und diesen Robotern in unserer Gesellschaft, das ist doch ein echter Game-Changer.
BG: Ja, ChatGPT war sicherlich so ein „Black Swan“ (Anglizismus für „unerwartete Ereignisse“). Erstmals benutzen nun gewöhnliche Menschen KI und sie realisieren: Das ist richtig smart. Jeder kann jetzt den großen kulturellen Unterschied erkennen. Ich bin ja ursprünglich Mathematiker. Und dass KI jetzt hilft, mathematische Theoreme zu beweisen, in kurzer Zeit – wow! Ich spreche hier nicht von sprachlichem Bullshit, sondern von mathematischen Theoremen. Jeder kann jetzt die Power dieser Systeme sehen. Das ist wirklich transformativ. Bisher haben diese Programme weitgehend recycelt, was man ihnen vorher eingefüttert hatte. Aber jetzt kommen wir näher und näher an echte menschliche Intelligenz. Die KI macht Fortschritte, und zwar superschnell!