This is my story
This is my story: Bin ich ein AIdiot?
Oder: meine abenteuerliche Liebesgeschichte mit der Artifiziellen Intelligenz
Eines ist klar wie KI-Brühe: Im Vergleich zur Artifiziellen Intelligenzen bin ich eine 0 und keine 1. Mein eigenes Wissen ist im Vergleich zum gigantischen Sachverstand der KI höchstens zwergenhaft, denn ihre Intelligenz und ihr Umfang wachsen von Tag zu Tag ins Unermessliche. Sie wurde mit mehr als hundert Millionen Büchern gefüttert und jede Sekunde mit ganz viel von dem, was im Internet permanent so alles aufpoppt an Social-Media-Einträgen, an neuen Forschungsberichten und PDFs, die von klugen Menschen verfasst wurden. Dies alles wird von den KIs ständig eingeatmet und nie wieder hergegeben, wie von riesigen, hungrigen Daten-Staubsaugern verschluckt. Da kann ich nicht mithalten – und auch kein Universitätsprofessor. Vielleicht sind gerade deshalb so viele aus der Geisteszunft große KI-Skeptiker, weil sie ihren privilegierten Platz auf dem Gipfel der Erkenntnis bedroht sehen. Im Vergleich zur fast allwissenden KI bin ich also eine Idiot, oder bestenfalls ein AIdiot. Und damit bin ich schon auf dem Punkt: Die ultimative Aufgabe der KI ist es in meinen Augen und in meinem Gehirn, dass wir unser eigenes Denken, das allzu oft längst eingerostet ist, wieder in Schwung bringen. Dass wir unseren verkümmerten Denkmuskel, unser Hirn, ins geistige Fitnessstudio bringen und Denksport betreiben. Denn vom Sport weiß man, dass Muskeln nur dann wachsen, wenn sie trainiert werden bis sie weh tun. Das gleiche gilt es jetzt für das Gehirn zu tun: Es zu trainieren, bis es schmerzt, bis es an seine Grenzen kommt. Denn erst dann bildet es neue Synapsen aus, bis ins hohe Alter. Wenn es selten benutzt wird oder nur für altbekannte Routinen, dann verkümmert es langsam aber sicher. Die gute Nachricht – und es gibt keine schlechte: Wenn Du Dich mit diesem Text hier beschäftigst und ihn wirklich durchdenkst auf die Relevanz hin, die er in Deinem Leben hat, dann betreibest Du in diesem Moment bereits Hirn-Fitness oder Hirn-Jogging, um stärkere Intelligenzmuskeln zu bekommen. Willkommen im Hirn-Fitness-Club. Und die Eintrittsgebühr war nur der Kaufpreis dieses Buches.
Was ich gerade noch mit meiner eigenen beschränkten Intelligenz auf die Reihe bringe, das ist jetzt das Nacherzählen meiner persönlichen KI-Lebensgeschichte. Genau genommen ist es eine Liebesgeschichte. Denn ja, ich liebe KI. Ich meine: Wenn andere Leute Hamburger lieben (so heißt doch der Slogan dieser Burgerbude: „Ich liebe es“), dann darf ich auch die KI lieben. Weil sie mich jeden Tag auf’s Neue überrascht. Weil ich süchtig bin nach ihr. Weil ich sie ganz einfach genial finde. Und weil sie mir schmeckt. Nur überfressen sollte man sich nicht an ihr. Denn eine Überdosis hat nun mal negative Auswirkungen.
Die KI ist ein roter Faden, der sich durch mein Leben zieht. Erst jetzt im Rückblick wird das Muster erkennbar, in das ich eingewoben bin. Mal ganz ketzerisch gefragt: Vielleicht ist die KI ja nur Teil einer riesigen, kosmischen Intelligenz. Denn dass seit dem Urknall vor 13 Milliarden Jahren, als aus dem Nichts plötzlich in Millisekunden ein gigantisches Etwas entstand, dass also seither eine Form von Hyper-Intelligenz im Kosmos wirkt – ist das nicht offensichtlich?
Also finde vielleicht nicht ich diese Intelligenz, sondern diese kosmische Intelligenz hat mich gefunden und viele andere KI-Entwickler, um sich selbst real in die Welt zu bringen. Könnte das sein? Ist alles ein viel größerer Evolutions-Prozess, den ich in seiner Tiefe gar nicht verstehen kann? Vielleicht bin ich ja gar nicht so selbständig und Schmied meines eigenen Schicksals, wie ich bisher dachte. Vielleicht bin ich eine Marionette an roten Fäden, gespielt von dieser kosmischen Intelligenz, die sich selbst in unsere Welt hineinrealisiert? Als Teil eines gigantischen Entwicklungs-Plans, den wir nie und nimmer begreifen können? Denn denken wir wirklich, mit dem Erscheinen des Homo Sapiens auf der Bildfläche wäre der ultimative Höhepunkt der Evolution erreicht, nach dem es keine Steigerung mehr gibt? Ich lasse diese Frage mal so im Raum stehen.
Komischer Gedanke, richtig? Da muss ich mal die KI fragen, was sie davon hält. Man kann ja ganz ausgezeichnet mit ihr philosophieren und sie wird nicht müde, auch die seltsamsten Gedankengänge nachzuvollziehen, zu kommentieren und weiterzuführen. Einfach selbst ausprobieren: Denke Dir die sonderbarste Sache aus, die ungewöhnlichste Frage, die Dir in den Kopf kommt, und diskutiere das mit der KI. Bin gespannt, was Du dann erkennen wirst. Erzähle es mir auf unserer AllesKi.com Website. Ich denke, ich sollte dort eine Challenge einrichten, wer mir die interessanteste KI-Antwort auf die seltsamste aller möglichen Fragen berichten kann. Wollen wir? Erster Preis – ja was könnte ein begehrenswerter 1. Preis sein? Auch dazu muss ich wohl die KI befragen.
Zurück zum roten Faden. Ich verliere mich gerade in den Synapsen meines eigenen Denkmuskels und in den Neuronalen Netzen der KI, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. In diesen Tagen wird für mich mehr und mehr das Muster erkennbar, in das ich eingewoben bin. Auch das ist ein Ergebnis des Lebens mit KI. Dass man die wirklich wesentlichen Themen diskutiert, die großen Lebensfragen, und dadurch die eigene Existenz besser begreift. (A propos: Existiere ich bloß oder lebe ich schon?) Diese Story, die ich jetzt erzähle, ist meine eigene Lebensgeschichte mit KI. Und die KI wurde mir dabei zur Konstante, die immer wieder in neuem Gewand auftaucht.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine KI-Lebensreise startete. Sie fing an, als ich acht Jahre alt war, im Jahr der Mondlandung 1969. Genau genommen begann dieses Projekt Mondlandung ja rund hundert Jahre früher, mit Science Fiction, als Jules Verne 1865 Von der Erde zum Mond schrieb. Die Rolle von Science Fiction in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, was ich im Kapitel über die Geschichte der Künstlichen Intelligenz im Detail beschreibe. Dieses Buch von Jules Verne inspirierte nicht nur mich, sondern vor allem einen jungen Physiker namens Hermann Oberth so sehr, dass er eigene Raketenversuche durchführte und 1923 als Dissertation sein Werk Die Rakete zu den Planetenräumen vorlegte. Die Universität Heidelberg lehnte diese Dissertation aber ab, zu spekulativ erschien diese visionäre Arbeit. Schließlich wurde der junge Wernher von Braun darauf aufmerksam, der dann während des 2. Weltkriegs in Peenemünde das V2-Raketenprojekt der Nazis leitete, das als „Wunderwaffe“ bekannt wurde. Letztendlich war es genau jener Wernher von Braun, der 1969 in den USA für die NASA die erfolgreiche Mondlandung realisierte. Und wer glaubt, dass diese Mondlandung ein Fake gewesen wäre, dem sei gesagt: Dann wäre wenigstens dieser Fake höchst professionell inszeniert worden. Denn wie sonst hätte man die mehr als 4.000 Reporter an der Nasa, äh, Nase herumführen können, die den Start der Apollo 11 auf Cap Canaveral neben unzähligen Schaulustigen als Augenzeugen mitverfolgten, und die rund 650 Millionen Menschen, die im TV live zusahen? Ich war einer davon. Und wäre dann auch das Mondgestein gefaked, das die Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins vom Mond mitbrachten?
Wie auch immer: Im Spätsommer 1969 besuchten wir Onkel Uli in Graz, meinen Taufpaten. Und wie stets überraschte er uns auch diesmal: „Kinder“, sagte er und öffnete die Faust, so dass ein kleines, seltsames Ding zum Vorschein kam, „Kinder, dieses Ding da wird die Welt verändern. Das ist ein Computerchip.“ Und er erzählte, dass der Mondflug, den wir ja gerade in grobkörnigem Schwarz-Weiß über den Fernsehbildschirm flimmern gesehen hatten, nur möglich gewesen war, weil es nun diese Chips gibt.
Warum Ulrich Santner dieses Wunderteilchen hatte, wohl rund 15 Jahre, bevor überhaupt die ersten PCs in Büros und Wohnungen einzogen? Weil er in den späten 50-er Jahren an der renommierten Purdue University in den USA als Assistent „Science in Industrial Engineering“ erforscht hatte. An der selben Universität, die auch „the cradle of the astronauts“ genannt wird, die Wiege der Astronauten, weil neben Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond, dort dutzende andere Astronauten den Studiengang „Aeronautical Engineering“ absolviert hatten.
Deshalb war Onkel Uli mit Forschern von Firmen wie Texas Instruments, Intel oder Fairchild Semiconductors in Kontakt, die alle in den 60-er Jahren aufblühten. Warum? Weil John F. Kennedy 1961, im Jahr meiner Geburt, in seiner berühmt gewordenen Rede angekündigt hatte: „Wir setzen uns das Ziel, vor Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond sicher zu landen und ihn wieder zur Erde zurückzubringen.“ Diese komplexe Herausforderung konnte nur mit Computern erfüllt werden, die dadurch einen Boost erlebten. Und es war Wernher von Braun gewesen, der Kennedy davon überzeugt hatte, dass diese Mond-Mission innerhalb des Jahreszehntes machbar sei.
Nun also verbaute auch mein Onkel diese Chips in seiner damals noch kleinen Firma. Start-up würde man heute sagen. Die Computerchips kamen in seine Messtechnikgeräte. Diese sollten die besten der Welt werden, so sein Ziel damals. Und sie wurden es. Nicht nur, dass heute die meisten Forschungsinstitute weltweit mit seinen hochpräzisen Messtechnik-Geräten arbeiten. Sie sind auch im Orbit unterwegs, eingebaut in Satelliten. Und sogar bei der Marslandung kam eines seiner Geräte zum Einsatz. Uli wurde später nicht nur von der wissenschaftlichen Community geehrt, er wurde 1985 in Österreich auch Unternehmer des Jahres. Ich denke er konnte vor vier Jahren sehr zufrieden ins Jenseits gehen. Denn ein Teil von ihm lebt ja in seiner Firma mit gut 4.000 Mitarbeitern fort, dem Unternehmen namens Anton Paar.
Onkel Uli, mit dessen Familie wir auch jedes Jahr einen Teil der Winterferien auf seiner Skihütte verbrachten – er mit seinen sieben Kindern, sechs Mädchen und einem Sohn, während wir „nur“ vier waren – Uli sprach immer wieder in verständlicher Sprache mit mir über dieses Thema. Und er gab mir und meinem Bruder auch Bücher zu lesen. Eines erinnere ich noch: „Hilfe Computer“ hieß es. Das wäre heute doch auch ein schöner, zweideutiger Titel für unser Thema: „Hilfe KI!“.
Zwölf Jahre nach der Mondlandung: Ich leiste Zivildienst als Rettungssanitäter beim Roten Kreuz. Mein Teamkollege, mit dem ich Stunden und Tage im Sanka und im Bereitschaftsraum verbringe, liest dicke wissenschaftlicher Bücher, denn er studiert in Salzburg gerade Linguistik, Philosophie und Psychologie. Doch der Titel dieses besonders dicken Buches besagt irgend etwas mit „Informatik“. Ein Wort, das damals noch niemand kennt. Geduldig erklärt mir Alfred Kobsa dieses Fachgebiet, in dem er dann schließlich seine Dissertation schreiben wird. Heute ist er Professor für Informatik an der University of California in Irvine, mittlerweile emeritiert, und sein Spezialgebiet ist – Artificial Intelligence. Auf den gemeinsamen Fahrten erklärte er mir die Grundbegriffe seines Lieblingsthemas.
Als junger Journalist dann beim ORF in Salzburg und Wien ist das einschneidendste Erlebnis die Begegnung mit Prof. Robert Jungk. Er war nicht nur der erste Professor für Zukunftsforschung an der FU Berlin. Er gründete Mitte der 80er Jahre die Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. An seiner Seite besuchte ich abgefahrene Zukunftskongresse in Budapest, Norditalien, Berlin und Salzburg und konnte Visionäre und Futuristen aus der ganzen Welt interviewen. Das beschrieb ich in einem Sammelband mit dem Titel: Zukunft gewinnen: Die sanfte ( R )Evolution für das 21. Jahrhundert – inspiriert vom Visionär Robert Jungk. Darin zitiere ich Robert Jungk mit einem Satz, der so typisch für ihn ist und der meines Erachtens auch perfekt zum Thema KI passt: „Die Welt kann verändert werden, denn die Zukunft ist kein Schicksal. Sie wird gemacht – von Menschen.“
Christoph Santner, Eine anastrophale Begegnung: Wie Robert Jungk mein Leben und meine Zukunft prägte. In: Rolf Kreibich, Fritz Lietsch (Hrsg.): Zukunft gewinnen: Die sanfte (R)Evolution für das 21. Jahrhundert – inspiriert vom Visionär Robert Jungk. Altop Verlag, München, 2015, S. 188 – 192.
Schon damals diskutierten wir die Chancen und Risiken des hereinbrechenden Digital-Zeitalters durchaus kontroversiell sowie die Rolle der Künstlichen Intelligenz. Dieser Begriff existiert ja bereits seit 1955. Zu dieser Zeit hatte Robert Jungk noch in den USA gelebt. Er hatte an der Westküste über neue Technologien und die Atomkraft recherchiert. 1952 schrieb er sein erstes Buch: Die Zukunft hat schon begonnen. Wie recht er hatte. Und auch mit seinem 1966 erschienenen Buch bewies er großen Weitblick: Die große Maschine: Auf dem Weg in eine andere Welt. Als ich dann mehrere Sendungen mit ihm machte, publizierte er gerade sein Werk: Projekt Ermutigung.
Und ja, er ermutigte mich für meine nächsten Schritte: Ich startete mit jungen journalistischen MitstreiterInnen eine Medienagentur mit dem Fokus auf Zukunftsfragen. Für den BR machten wir etwa eine mehrteilige, fünfstündige Radioserie mit dem Titel: Die Zukunft der Welt. Für den ORF gestalteten wir eine Reihe von Sendungen für Formate wie Matrix, Nova, Radiokolleg oder Dimensionen – die Welt der Wissenschaft. Und ich startete unter dem bewusst doppeldeutigen Slogan: „Es geht um die Welt“ eine Serie, in der wir Kapazitäten interviewten zwischen Moskau (wo zwei meiner jungen MitstreiterInnen den jungen Al Gore befragten), quer durch Europa bis New York. Immer wieder beleuchteten wir dabei die Rolle der KI für die Zukunft.
Moskau wurde knapp später nochmals interessant und zugleich spooky für mich: Bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs drehte ich dort für Focus-TV eine Reportage über „Mind-Machines“. Ich konnte Professoren und Forscher in seltsam-unheimlichen Laboren interviewen sowie Projektleiter von ehemals sowjetischen Schulungsprogrammen für Elite-Soldaten und KGB, wo mittels Computer-Programmierung und Psychopharmaka krasse Persönlichkeitsveränderungen vorgenommen wurden. Den Faktor „Angst“ konnte man fast komplett aus den Menschen „herausschneiden“. Lediglich die Spätwirkungen waren fatal. Deshalb sprach eine Gruppe mit mir, in der sich ehemalige Militärs und KGBs zusammengetan hatten, um Schadenersatz zu fordern. Und übrigens: Chefredakteur von Focus-TV war damals Matthias Pfeffer, der heute zu den KI-Kritikern gehört. Schon erstaunlich: Einerseits sollen Roboter menschliche Fähigkeiten entwickeln, aber andererseits gleichen sich Menschen mehr und mehr den Maschinen an. Das denke ich öfters, wenn ich immer häufiger in völlig überschminkte, ausdruckslose Gesichter sehe. Welcome to the future! Mehr dazu im Kapitel über Roboter.
Ja, KI war in den späten 80er und frühen 90ern ein großes Thema, und ich durfte einigen der Pioniere begegnen und sie interviewen, etwa Professoren und KI-Forscher wie Hans Moravec, Jean Baudrilliard, Joseph Weizenbaum, Heinz von Foerster oder Marvin Minsky, der ja Mitte der 50er Jahre mit John McCarthy den Begriff Artificial Intelligence eingeführt hatte. Ich portraitierte den radikalen australischen Performance-Künstler und Forscher Stelarc, der sich technische Bauteile in seinen Körper implantieren ließ. Aber auch Kritiker wie Paul Virilio, den ich in Paris traf. Er hatte kluge Bücher geschrieben wie: Rasender Stillstand oder: Information und Apokalypse. Soll heißen: Über Segen und Fluch von Informationstechnologie und Künstlicher Intelligenz wird nicht erst seit heute lebhaft diskutiert.
Um nur einen herauszugreifen: Hans Moravec gilt als einer der Pioniere der KI und Robotik. Er forschte an der Carnegie Mellon University. 1991 prophezeite er mir im Interview: „Wir werden unsere neuen Roboterkinder gern haben, denn sie werden angenehmer sein als Menschen.“ Mich schauderte, als ich kürzlich nochmals seine präzisen Prognosen las, wie sich AI und Robotik in jedem Jahrzehnt bis 2040 entwickeln werden. Einerseits sind das absolut visionäre Aussagen enthalten. Andererseits konnte er ja rechnen. Und so fand er schon damals heraus, wie leistungsstark die Computer unserer Zeit sein werden. Denn sie folgen konsequent Moore’s Law. Der Intel-Mitgründer Gordon Moore (Du erinnerst Dich an den Slogan: „Intel inside“ – also an diese leistungsstarken Chips aus den USA, die in fast jedem Computer stecken), Gordon Moore hatte Mitte der 1960er Jahre festgestellt, dass sich die Rechnerleistung der Computer etwa alle 1,5 Jahre verdoppelt, und zwar selbst rückwirkend, also seit es die ersten Rechenmaschinen um das Jahr 1900 gab. Plus minus gilt dieses Gesetz bis heute. Und wegen dieser exponentiell nach oben schnellenden Entwicklungskurve explodiert nun die Rechnerleistung und ermöglicht AI für jedermann und jedefrau. Erst die enorme Computerpower unserer Tage, die zu erschwinglichen Preisen zu haben ist, ermöglicht uns heute KI.
Damals, anfangs der 90er Jahre, schrieb Hans Moravec gerade zwei vieldiskutierte Bücher. Aus heutiger Sicht kann man seine Titel nur bestätigen: „Mind Children. Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz“ (1988). Und vielleicht noch visionärer sein zweiter Bestseller von damals: „Computer übernehmen die Macht“ (1998).
Moravec, Marvin Minsky und viele andere Visionäre hatte ich auf der Ars Electronica in Linz getroffen, einem renommierten jährlichen Zukunfts-Festival mit visionärem Kongress, permanentem Future-Lab und einem sehenswerten Museum der Zukunft. Das Jahresthema 1990 mit Marvin Minsky & Co. hieß “Digitale Träume, virtuelle Welten“ und 1991 „Out of Control“. Später begann ich dann auch eigene Konferenzen und Zukunftssalons zu organisieren, mit Gästen wie etwa Esther Dyson, der Grand Dame des Internets. Sie sagte mir: „Die größte Challenge an AI ist nicht, sie zu bauen, sondern sie richtig und gut zu verwenden.“ Bingo!
Ich organisierte dann auch vier Future Camps in Spanien, Kalifornien, Hawaii und in Bayern; drei Future Summits in den Bergen, und zwei Mal die Mission Future in Linz parallel zur Ars Electronica. Immer ging es dabei u.a. auch um KI. Dem langjährigem visionären Leiter der Ars Electronica, Gerfried Stocker, ist es zu verdanken, dass dort AI der roter Faden durch all die Jahrzehnte ist. Ein Blick auf die letzten Jahre bestätigt dies: 2017 hieß das Thema explizit „Artificial Intelligence – das andere Ich“. Und 2021 dann „A New Digital Deal“. Es ging also darum, wie unsere Gesellschaft mit der Dominanz mächtiger Tech-Konzerne umzugehen sollte.
Bei meinen eigenen Konferenzen kamen nicht nur junge ForscherInnen, KünstlerInen, AktivistInnen und Start-ups zu Wort, sondern auch renommierte Experten aus Europa, den USA und Japan. Wie etwa Prof. Hiroshi Ishii, der am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Boston AI und Roboter mit der realen Welt interagieren lässt. Oder Prof. Hiroshi Ishiguro von der Universität Osaka mit seinem berühmten „Geminoid“, seinem Roboter-Doppelgänger, der von der Mehrheit der Testpersonen für einen echten Menschen gehalten wurde. Bei der Konferenz AI for Good der UNO in Genf im Juni 2023 konnte ich neben acht weiteren humanoiden Robotern auch die neueste Ausgabe des Geminoid erleben und mit ihm sprechen. Diese humanoiden Roboter realisierten dann auch gleich noch eine Weltpremiere: Gemeinsam gaben sie vor uns rund 50 anwesenden Journalisten eine Pressekonferenz. Sie antworteten auf jede Frage gut, teils auch mit Humor. Ich muss sagen: Ich habe in meinem Leben definitiv Pressekonferenzen erlebt, die deutlich langweiliger und nichtssagender waren.
Ich durfte also immer wieder Vordenkern und Vordenkerinnen begegnen, deren Visionen wie Science-Fiction klangen. Aber wird nicht gerade heute Science Fiction wahr? Das dachte ich kürzlich, als mir in einem EDEKA-Restaurant das Essen erstmals von einem rollenden Roboter mit freundlicher Stimmer serviert wurde.
Dass es KI überhaupt gibt, ist auch dem visionären Denkern von Science-Fiction-Autoren und Forschern wie Bruce Sterling zu verdanken, einem der drei Begründer des Genres Cyber-Punk in den 80er Jahren. Er sagte mir 2007 in einem Interview am Rande der renommierten DLD-Konferenz von Hubert Burda in München: “KI wird jede Branche revolutionieren, aber sie wird die Notwendigkeit von Kreativität und Empathie in der Arbeitswelt nicht ersetzen.” Beim Lesen seiner faszinierenden Werke, die später ja auch als Inspirationsquelle für Filme wie Matrix dienten, wurden von ihm radikale Phantasie-Welten aufgebaut, die sich – das kann ich bezeugen – nun Schritt für Schritt realisieren.
Nochmals ein Sprung zurück nach Salzburg, ins Cyberpunk-Jahrzehnt der 80er: Ich lernte dort erstmals junge Programmierer kennen, die ihre eigene Software schrieben. Einer von ihnen war Viktor Mayer-Schönberger, den ich als Jungunternehmer in Salzburg interviewte, für die Tageszeitung Der Standard in Wien. Viktor hatte damals eine Anti-Viren Software geschrieben namens Ikarus, als noch kein Mensch wusste, was überhaupt ein Computervirus ist. Ich sollte Viktor gut 10 Jahre später in Boston wiedertreffen, als er mittlerweile Harvard-Professor war, zu der Zeit, als ich in New York mein Internet-Startup mitten in der Blüte der New Economy hochzog. Ich diskutierte damals mit Viktor über visionäre KI-Welten – und wie sie durch rechtliche Leitplanken zum Wohl und nicht zum Verderben der Menschheit beitragen können. Er sagte mir: “Bei künstlicher Intelligenz geht es nicht nur darum, intelligentere Maschinen zu bauen, sondern auch intelligentere Organisationen und Gesellschaften.” Wie recht er damit hat. Heute ist Viktor übrigens Oxford-Professor. Bis heute mischt er als kritischer, visionärer Geist in der öffentlichen Diskussion über die Entwicklung der digitalen Welt mit. Sein letztes Buch, das er gemeinsam mit dem Journalisten und Autor Thomas Ramge geschrieben hat, trägt den Titel: Machtmaschinen – Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen.
In der Zeit des Internet-Booms in den späten 90er Jahren hatte ich eines dieser Internet-Start-ups gegründet, zuerst in New York und dann in München. Leider überlebte es den Crash der New Economy anfangs der 2000er-Jahre nicht. Die Älteren von uns erinnern sich an das Platzen der sogenannten Dotcom-Blase. In dieser Zeit sah ich in New York und bei AOL in Dulles, Virginia die ersten Server-Farmen. Hallen und Hallen voller Computer-Racks und großen Rechnern. Alles blinkerte wie Weihnachtsbeleuchtung und surrte wie ein Heuschrecken-Schwarm. Später erlebte ich dann bei Sun Microsystems im Silicon Valley eine noch größere Server-Farm, als ich mit diesem IT-Pionier, der später von Oracle geschluckt wurde, ein spannendes Kooperations-Projekt laufen hatten, das wir auf der Entwicklerkonferenz JavaOne in San Francisco vorstellen durften. Dort erlebte ich Programmierer, die an KI in den unterschiedlichsten Anwendungen arbeiteten.
Im Silicon Valley wurde ich dann auch eingeladen von zwei ganz besonderen KI- und Internet-Pionieren, dem Power-Couple Dr. Mariana Bozesan und Tom Schulz. Beide hatten in Karlsruhe und dann in Stanford als Informatiker über KI geforscht, und Mariana hatte noch den Doktortitel in Psychologie erworben. Sie hatten in renommierten Firmen nicht nur KI-Projekte vorangetrieben, sondern dann auch in Deutschland als Co-Founder den Internet-Service-Provider Cybernet AG bereits 1995 an die Börse gebracht. Dr. Mariana Bozesan ist auch Full Member des Club of Rome. So engagieren sich die beiden bis heute als Investoren mit ihrer Firma AQAL Capital, aber auch in weltweiten Auftritten dafür, dass in der Finanzwelt eine Trendwende einsetzt. Dass also Investments nur noch in Start-ups und Firmen gemacht werden, die sich klar für die Lösung der Probleme unserer Zeit einsetzen im Rahmen der 17 UNO-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG). Für ihre Investment-Systematik, aber auch für die Start-ups, die sie als Serial Entrepreneurs mit hochziehen, setzen sie KI ein. Etwa im Bereich der Erneuerbaren Energien. Dr. Mariana Bozesan beschreibt die Entwicklung der KI, die sie aus nächster Nähe seit den 1980-Jahren miterlebt und vor allem auch mitgestaltet hat, in ihrem spannenden und informativen Buch im Kapitel „Artificial Intelligence: Revolution, Emergency, Salvation.“
Überraschend traf ich Dr. Mariana Bozesan dann Ende 2022 auf der GESDA-Konferenz in Genf wieder. Denn sie sieht die Aufgabe der AI gerade darin, wie sie mir sagte, „die Weisheit und die kollektive Intelligenz der Menschheit zu extrahieren, damit sie nicht von der „stupidity der crowd“, also von der Dummheit der Massen überrollt wird, die sich heute in den sozialen Medien aufbaut.“ Genau das ist auch das Ziel von GESDA (Geneva Science and Diplomacy Anticipator): In dieser rund um’s Jahr aktiven Initiative haben sich mehr als 4.000 Spitzenforscher aus der ganzen Welt zusammengeschlossen, um Wissenschaft zum Wohl der Menschheit zu machen und um in einem „Science Anticipator“ die Entwicklung in den relevantesten Forschungsgebieten für die nächsten 5, 10 und 25 Jahre zu prognostizieren und zu antizipieren. Wow! Was da beschrieben wird, klingt wie Science Fiction, ist aber Wissenschaft. Und ganz besonders erforscht werden auch Künstliche Intelligenz und Quantencomputer.
Gleich schon bei der Pressekonferenz saß ich Prof. Fabiola Gianotti gegenüber, der Teilchenphysikerin und Generaldirektorin des berühmten CERN in Genf, in dem ja auch Tim Burners-Lee das World Wide Web erfunden hatte. Das CERN wurde unter anderem weitum bekannt durch die Verfilmung von Dan Brown’s Roman Illuminati im Jahr 2009 mit Tom Hanks und Ayelet Zurer, die die Rolle der jungen italienischen Quantenphysikerin Vittoria Vetra spielt. Ein Zufall? Mittlerweile beheimatet das CERN nun auch ein Open Quantum Institute, das an der Entwicklung von Quantencomputern arbeitet. Als erstes konnte ich gleich nach der Pressekonferenz Anousheh Ansari interviewen. Weltweit bekannt wurde die iranisch-amerikanische Informatikerin und Unternehmerin 2006, als sie als erste selbstfinanzierte Raumfahrttouristin zur Internationalen Raumstation ISS flog. Sie sagte mir: “Ich denke, dass Technologie und AI wirklich Werkzeuge sind, die wir verwenden sollten, um Probleme zu lösen und um die Menschheit voranzubringen.” Mit dem Ansari X-Prize hat sie einen hochdotierten Preis für junge ForscherInnen geschaffen, der ein gezielter Anreiz sein soll, AI zum Wohl der Menschheit zu entwickeln und eizusetzen.
Genauso spannend war in Genf auch das Interview mit Mathias Troyer, der als Physiker und Informatiker an der renommierten ETH Zürich lehrte und als Professor die Welt der Quantencomputer erforscht und vorantreibt. Mittlerweile arbeitet er aber in den USA für Microsoft an Supercomputern. Microsoft hat ja bekanntlich bisher 12 Mrd. (!) US$ in OpenAI investiert, also in die Organisation, die u.a. Chat-GPT und Dall-E anbietet und die daher einen gigantischen Bedarf an Computerleistung hat. Dies wird eine von Jahr zu Jahr wachsende Herausforderung werden, sobald mehr und mehr Menschen KI und die dahinterliegende Rechenpower benutzen, etwa um künstliche Bilder und Videos zu erzeugen, was enorme Datenmengen erzeugt.
Die Superpower, die Prof. Matthias Troyer vorantreibt, braucht es, um AI-Systeme nun stets intelligenter zu machen, um die wachsende Anzahl von Anwendungen zu hosten, und um große Forschungsprobleme zu lösen. Er sagte mir: „Quantencomputing wird die Art und Weise verändern, wie wir Probleme lösen, an die wir heute noch nicht einmal denken können.“ Und weiter: „AI und Quantencomputing stecken noch in den Kinderschuhen, aber sie haben das Potenzial, ganze Industrien zu revolutionieren und neue zu schaffen.“
All dies geschah noch, bevor am 30. November 2022 ChatGPT öffentlich zugänglich gemacht wurde. Dieser Tag ist sicherlich einer, der in die Annalen eingehen wird. Denn schlagartig wurde der Welt bewusst, welches gigantische Werkzeug hier in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt wurde, und das nun der Menschheit zugänglich ist. Wobei ChatGPT natürlich nur eines von vielen tausend AI-Tools ist, die es mittlerweile gibt, in allen nur vorstellbaren Bereichen. Seit der ersten KI-Konferenz 1956 in Dartmouth, New Hampshire, hatte es immer wieder Phasen von „KI-Wintern“ gegeben, in denen zwar weiter geforscht wurde, aber das Thema war wie zugefroren und die Welt bekam nicht viel davon mit. Nun aber blüht und sprießt alles in einem unvergleichlichen KI-Frühling und treibt seltsamste Blüten. Die KI gebärdet sich wie ein junger Hund. Dieser hat seine eigene Lebenskraft, seine Stärken, und das ist gut so. Aber wenn wir ihn jetzt nicht erziehen, dann könnte er uns in Zukunft auch terrorisieren. Hier einen guten Weg zu finden, das ist das Gebot der Stunde.
Für mich jedenfalls begann Ende 2022 wohl eine der aufregendsten Zeiten meines Lebens, das an abenteuerlichen Ereignissen sicherlich nicht arm war. Ich habe immerhin als Journalist in mehr als 50 Ländern meine Reportagen gemacht, gerade auch unter herausfordernden Umständen im globalen Süden, also in Afrika, Asien und armen Karibik-Ländern. Aber aus der Nähe miterleben zu dürfen, wie KI in unseren realen Alltag kommt und jedes einzelne Themenfeld durchdringt und in den meisten Fällen auch revolutioniert, das ist wohl ein Privileg, das man, wenn überhaupt, nur einmal in seinem Leben hat. Dieses Jahr zu beschreiben, dafür gewähre ich mir ein eigenes Kapitel. Denn dieses Jahr 2023 und anfangs 2024 ist voller Einträge in meinem Tagebuch des AIdioten. Es vergeht keine Stunde, in der kein neuer KI-Newsletter reinflattert, von den wohl an die 50, die ich abonniert habe, ganz zu schweigen von den Einträgen von KI-Experten, denen ich vor allem auf LinkedIn oder X (früher: Twitter) folge. 2, 3 Stunden pro Tag verbringe ich lediglich mit Lesen, hin und wieder mit dem Ansehen relevanter Videos im Internet. Und ich komme aus dem Staunen kaum heraus, wie schnell sich alles entwickelt. Aber immerhin eines weiß ich – ich, der Aidiot: Im Geiste bin ich ganz bei Sokrates, der es vor rund 2.400 Jahren so trefflich formuliert hatte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, zumindest im Vergleich zur allwissenden KI!